Mittwoch, 19. Mai 2010

Protokoll einer Reise

Mittwoch, 05.05.2010, 19:15 Uhr
Auschecken im Hotel, keine Probleme, Rechnung passt. Das Handy klingelt: Mein Fahrer ist da. Rucksack schultern, Trolley packen und vor die Tür. Anouar ist mein Fahrer, er wirkt etwas aufgeregt. Wir müssten uns beeilen wegen des Sturms, bevor die Flughafenstraße geschlossen wird. Ich schaue mich um: Riad, 28 Grad, Sterne am Himmel... welcher Sturm?

19:07 Uhr
Die Sterne sind weg. Links erscheint eine Wand aus Sand, wir fahren rein. Wirkt wie Nebel, dichter Nebel.

19:09 Uhr
Beobachte die Straßenlaternen. Der feine Staub, der scheinbar vorbei fliegt wird durch große Wassertropfen ersetzt. Blick nach vorne: Der Scheibenwischer kommt kaum gegen den plötzlichen Regen an. Schaue aus dem Seitenfenster. Der Sand ist aus der Luft gewaschen. Beunruhigend, weil ich jetzt die vielen, vielen Blitze sehen kann, die rechts von mir Brücken zwischen Himmel und Erde schlagen. Drehe den iPod lauter um den Donner nicht hören zu müssen.

19:13 Uhr
Der iPod wird übertönt. Hagel. Fühlt sich an wie Maschinengewehrbeschuss. Der Verkehr steht.

19:20 Uhr
Im Schneckentempo geht es weiter. Entweder sind die Fahrer heute alle ausnahmsweise gut diszipliniert oder alle sind vor Angst wie gelähmt.

20:12 Uhr
Fast am Flughafen, kaum noch Niederschlag. Anouar fährt rechts ran. Mit unseren Handy versuchen wir Bilder von der nächtlichen, verhagelten und verblitzten Wüste zu machen. Den Hagel kann man auf einem meiner Bilder einigermaßen erkennen. Die Blitze lassen sich nicht einfangen.



20:15 Uhr
Ankunft am Flughafen, endlich. Überall Menschenmassen. Suche mir einen Gepäckträger, dem ich Rucksack und Trolley gebe mit der Anweisung sich nicht vom Fleck zu rühren. Ohne Gepäck laufe ich ungebremst durch den Metalldetektor zum Schalterbereich. Bei Egypt Air wirkt man entspannt, innerhalb einer Minute habe ich den Boardingpass. Zurück aus dem Schalterbereich wieder zum Träger. Drücke ihm 10 Rial in die Hand und nehme mein Gepäck. Nächste Station Passkontrolle, hier gibt es keine Abkürzung, muss Schlange stehen und hasse es.

20:32 Uhr
In der Abflughalle, nur zwanzig Minuten, bevor das Boarding starten soll. Nächstes Ziel: Costa Coffee. Davor die Abflugtafel begutachten. Mein Flug ist nicht drauf. Dafür treffe ich beim Costa die Kollegen, die in den Oman wollen. Und die lange Überfällig sind, aber weder wird ihr Flug als verspätet gelistet noch teilt ihnen die Airline irgendetwas mit. Mir fällt auf, dass am Terminal nirgends Flugzeuge stehen.



20:55 Uhr
Boarding-Zeit. Richtiges Gate. Kein Flugzeug, kein Personal, keine Informationen.

21:00 Uhr
Zurück bei Costa. Gemeinsames Warten und Galgenhumor. Es sind neue Kollegen dabei, für die es sowohl erste Woche als auch erster Wochenendausflug sind. Wir versichern ihnen, dass diese Umstände für Riad alles andere als normal sind. Stunden vergehen und es werden Backup-Pläne geschmiedet. Die Omanler überlegen, den Flughafen wieder zu verlassen und das Wochenende in Riad zu bleiben. Ich buche am Netbook eines Kollegen vorsorglichen einen anderen Flug für morgen Mittag.



22:00 Uhr
An meinem Terminal steht jetzt ein Flugzeug. Marokko Air mit Flugziel Casablanca. Hört sich zwar interessant an, ist aber gerade keine Alternative für mich.

22:12 Uhr
Aus Ermangelung an Fakten über unsere Situation stützen wir unser weiteres Denken und Vorgehen auf Gerüchte. Da uns die Unzuverlässigkeit dessen bewusst ist, entscheiden wir nur zu glauben, was uns passt.
Zusammenfassung: Wegen des Unwetters seien alle Maschinen mit Ziel Riad nach Dammam umgeleitet worden. Von dort aus brechen sie jetzt wieder nacheinander nach Riad auf um die Passagiere aufzunehmen.



23:35 Uhr
Kein Flugzeug. Weder für mich noch für die Omanler. Im Gegensatz zu den Egypt Air Angestellten sind die Leute von Oman Air am Gate geblieben. Dort nimmt man sie in die Zange. Während asiatische Passagiere schnell abgewimmelt werden, sind die Deutschen lästiger. Abwechselnd nimmt sich jeder den Oman Air Menschen vor, stellt ihm wieder und wieder dieselben Fragen. Es ist ein Verhör, der Verdächtige soll endlich ein Geständnis ablegen. "Wann fliegen wir los?", "Warum ist kein Flugzeug da?", "Ist die Maschine schon  auf dem Weg hierher?", "Wann wird sie ankommen?", "Wenn sie erst in 10 Minuten in Dammam losfliegt, warum hieß es dann eben, sie sei schon auf dem Weg?", "Sie lügen, warum soll ich einem Lügner glauben?". Keine Gnade. "Es gibt eine Lösung. Canceln sie den Flug, erstatten Sie uns den Ticketpreis und lassen sie uns gehen.", "Nicht canceln? Warum?", "Das Flugzeug ist unterwegs? Ok, also von vorne... Wann fliegen wir los?" ... So geht es ewig weiter. Bei der Befragung wechselt man sich ab.



Donnerstag, 06.05.2010, 0:15 Uhr
Neuer Plan: Wir bleiben einfach hier. Aber wie verlassen wir den Flughafen? Unsere Pässe sind schon für die Ausreise gestempelt. Wir belagern die Mitarbeiter von Oman Air erneut. Angeblich könnten wir den Flughafen nicht verlassen. Also sind wir festgenommen? Nein, aber wir können den Flughafen nicht verlassen. Die Hobbyjuristen unter uns schreien: "Kidnapping!" Die Luft riecht nach Kaffee und Adrenalin. Schließlich will das Personal unsere Pässe einsammeln, um sie zur Immigration zu bringen. Nur dort können sie gestempelt werden, danach sind wir wieder eingereist und könnten raus. Würde auch nur ca. 3 Stunden dauern. In diesem Moment verliere ich den Überblick inmitten des Gewühls aus Beschimpfungen, Drohungen und immanenter physischer Gewalt. Während ich noch darüber nachdenke, ob ich schimpfen oder prügeln soll, fasst mich eine Hand an der Schulter. Zu der Hand gehört ein Egypt Air Mitarbeiter, der mir mitteilt, dass mein Flugzeug da ist und wir gleich boarden. Ich verabschiede mich, wünsche allen noch viel Glück und gehe zum Gate.

01:10 Uhr
Endlich geht es ins Flugzeug. Bis endlich alle an Board sind, vergeht wieder etwas Zeit. Dann stehen wir für etwa eine Stunde auf dem Rollfeld und warten auf unseren Start-Slot.

02:55 Uhr
Wir starten.

04:12 Uhr
Eine Durchsage des Kapitäns. Unser Flug wird zum Flughafen Borg Al-Arab umgeleitet. Das bedeutet für mich eine Stunde Autofahrt bis zur Wohnung. Hinter mir rastet ein saudischer Passagier aus, schimpft und flucht.

05:00 Uhr
Wir landen - und zwar wie ursprünglich geplant in Al Nozha. Innerhalb von wenigen Minuten bin ich durch die Passkontrolle und sitze im Taxi.

05:30 Uhr
Ankunft in der Wohnung, beim Blick aus dem Fenster bemerke ich die einsetzende Morgendämmerung. Ab ins Bett. Als mein Kopf auf dem Kissen landet, bin ich schon eingeschlafen.

1 Kommentar:

  1. Liegt es an meinen Zuhoererfaehigkeiten oder an Deinen Erzaehlkuensten, dass mir die Geschichte erst ganz am Ende bekannt vorkam ;-)

    AntwortenLöschen